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Buchbesprechung

Zukunft der Schrift. Eine Spekulation?

Rudolf Paulus Gorbach
2. April 2024
Das Ende des Alphabets und der bisherigen Schrift­zeichen. Ist das vorstellbar und was sind die Gedanken hierzu, die schon Vilém Flusser 1981 prophezeite.
Umschlagseite des Buches von  Christian Stindl mit dem Titel »Scripr – Über das Wesen der Schrift«.
Spartanisches Cover mit der visuellen Ahnung auf Text pur.

Im Vorwort (das hier Prae­s­criptum heißt) schreibt der Autor Christian Stindl, dass es nicht mehr zeitgemäß sei, sich lediglich mit der äußeren Form der Schrift zu beschäftigen. Über die innere Struktur der Schrift wäre nach­zu­denken und ob das System der Schrift überhaupt zukunftsfähig sei. Er fragt sich, ob Schrift­ge­staltung nicht die Gestaltung eines Schreib­pro­zesses sei? Und er kommt dann zur Behauptung, dass eine inno­vative Außenform einer Schrift einzig über eine inno­vative Binnen­struktur zu erzielen sei.

Zur Vorbe­reitung werden Themen der Kalli­grafie reka­pi­tuliert: Gestus und Modus, Stilus und Modus, Typos zu Eidos bis zur Dynamik. Im Kapitel Typo­grafie stellt er entgegen, dass Kalli­grafie prin­zipiell geschrieben wird, während in der Typo­grafie substanziell beschrieben wird. Weiter geht es um Konstruk­ti­ons­prin­zipien der Schrift. Tradi­tionell sind sie geome­trisch. Digitale Schrift­konturen werden dagegen para­me­trisch mit Vektoren erzeugt. Hierzu werden verschiedene Methoden vorge­stellt.

Das führt zu Metatools wie »Metafont« von Donald E. Knuth (1984) und in der Folge Systeme wie Metaflop, Calli­grapher, Kalli­Culator oder Scrip­to­grapher, die der Autor als dyna­mische Werkzeuge einstuft.

Links: Beispiel des Schönschreibens, versuch des Autors von 1986. Rechts: Das reduzierte und sehr spartanische Inhaltsverzeichnis des Buches
Schreiben beginnen und rechts das Inhaltesverzeichnis des Buches.

Alsbald wird Flusser mehrfach zitiert. Und da erinnere ich mich an einen denk­würdigen Vortrag von Vilém Flusser vor der tgm 1981, wo er das Ende der herkömm­lichen Schrift prophezeite. Die lebhaften Diskus­sionen danach kann man sich vorstellen. Und darum geht es am Ende auch Christian Stindl. Knuth wollte die Idee hinter den hand­ge­schriebenen Schrift­zeichen verstehen, um einem Computer das Wissen von Schrift­ge­staltern beizu­bringen (Einspruch: Es gab doch die intensive Zusam­me­n­arbeit mit Hermann Zapf?).

Und dann kommt man zur »Hyper­ty­po­grafie«. Was vereinfacht gesagt bedeutet, dass die bisherigen Schrift­zeichen ausgedient hätten. Ein neuer, bild­hafter Code würde an ihre Stelle treten. Für den Bezug der Maschinen unter­einander. Aber gibt es noch einen mensch­lichen Leser?

Das neue Schreiben würde eher dem Program­mieren ähneln und sich an Apparate richten, denn (nach Flusser) »Apparate verhalten sich besser und schneller als Menschen«. Schrift­ge­stalter sollten mehr zu Program­mierern werden, um »für eine Sinn­gebung der Welt und seines Lebens darin frei zu machen« zu program­mieren.

Und »es geht offenbar darum, das mühsame Schreiben und Lesen gänzlich auszu­lagern, um es folglich einer Maschine beizu­bringen, was wiederum die Frage nach einer adäquaten Mensch-Maschine-Inter­aktion nach sich zieht«.

Textdoppelseite des Buches. Gesetzt mit einer Schrift, die der Schreibmaschinenschrift ähnelt. Quellenhinweise in Orange gedruckt, die Buchstruktur ist optisch nicht erkennbar.
Schreibmaschinenschrift und keine visuelle , Betonung der Textstruktur, Zeilenzähler, Quellenhinweise in Orange gedruckt.

Hyper­ty­po­grafie als ein bisher unbe­kanntes und zukünftiges Zeichen­system mit Hypertools und Hypercodes, die zu einer »Erschöpfung der formalen Gestaltung von Schrift zur Folge haben«.

Wo geht das hin? Gleich­zeitig erleben wir momentan fast so etwas wie eine Renaissance des Lesens.

Buchdoppelseite. Auf der linken Seite eine Abbildung von Hypertools aus dem Jahr 1999 von Dimitri Bruni und Manuel Krebs der Designergruppe »Form«.
Hypertools aus dem Jahr 1999 von Dimitri Bruni und Manuel Krebs der Designergruppe »Form«. Wo gehts hin?

Jetzt habe ich dieses Buch gelesen und hätte es viel­leicht doch lieber einer Maschine über­lassen sollen. Aber da es gedruckt und sehr sorg­fältig gestaltet ist, waren viel­leicht doch menschliche Leser vorgesehen. Die Typo­grafie des Buches ist zwar konsequent, aber auch ziemlich »nerdig«: Der Charakter der Schreib­ma­schi­nen­schrift, eine unter­ge­tauchte Text­struktur, zwar akri­bische Kürzel für Quellen und Abbil­dungen, aber im Register winzigster Schriftgrad und die noch in Orange! Das kann man auch bei Tageslicht nicht entziffern und bei allen Arten von Kunstlicht ohnehin nicht. Lesen mit der Lupe; Zynismus gegenüber dem Leser? Oder sollten den Text doch nur Maschinen lesen?

Schwieirig zu lesende oder zu entziffernde Indexseiten des Buches.
Indexseiten des Buches.

Christian Stindl
Script – Über das Wesen der Schrift
128 Seiten
Schweizer Broschur
Triest Verlag, Zürich 2013
29 Euro
ISBN 978–3–03863–079–1